Die geballte Wut der Künstler

Die Kreativen in der Musikbranche fühlen sich um den Lohn ihrer Arbeit gebracht: Streamingdienste lassen ihnen von den Milliarden-Einnahmen nur Krümel, wegen der Pandemie werden Konzerte verboten – und jetzt soll auch noch das Urheberrecht geändert werden.

Niemand sollte mehr daran zweifeln, dass Künstler und Songwriter wütend sind. Von den USA über Großbritannien bis nach Deutschland wüten sie derzeit darüber, dass ihre Möglichkeiten, einen Lebensunterhalt zu bestreiten, Stück für Stück von Konzerninteressen oder von Politikern beschnitten werden, die bereit sind, die Interessen der Künstler auf dem Altar der Verbraucherauswahl oder des Wirtschaftswachstums zu opfern.

Es sind dieselben Künstler und Songwriter, deren Werke unsere kostbarsten Momente untermalen. Es ist der Sound einer Liebesgeschichte oder die Melodie, die Erinnerungen an ein vergangenes Jahrzehnt hervorruft. Musik destilliert unsere tiefsten Emotionen und unsere schönsten Gefühle. Musik beschreibt im wahrsten Sinne des Wortes, was es heißt, Mensch zu sein. Doch die Menschen, die sie schaffen, fühlen sich zunehmend im Stich gelassen. Die Gesellschaft lässt sie im Stich.

 

Der Appell von mehr als 1000 Künstlerinnen und Künstlern an die deutsche Regierung, auf Maßnahmen zu verzichten, die das Urheberrecht verwässern würden, ist ein bedeutender Meilenstein in der Welle des Aktivismus, der Konzernchefs und Politikern weltweit Druck machen soll. Unterzeichnet u. a. von Peter Maffay, Helene Fischer, Rammstein und KitschKrieg heißt es in dem Schreiben: „Keine Entmündigung der Künstler*innen! Keine Enteignung der Künstler*innen!“
In Großbritannien gehören Sir Paul McCartney und Chris Martin von Coldplay zu denjenigen, die eine gerechtere Bezahlung im Streaming und eine wettbewerbsrechtliche Untersuchung der Arbeitsweise der drei großen Musikunternehmen fordern.

In den USA sind Aloe Blacc und deadmau5 die Gesichter einer Kampagne, die restriktiven Plattenverträgen ein Ende setzen will. Inzwischen gibt es separate Initiativen, die von dem besonderen deutschen Problem über Streaming-Betrug, sexuellen Missbrauch und rassistische Diskriminierung von Künstlern bis hin zu Songwritern reichen, die gezwungen werden, Anteile an ihren Songs abzugeben, um Arbeit zu bekommen.

In meinen 40 Jahren in der Musikindustrie hat es noch nie eine so geballte Welle der Verdrossenheit aufseiten der Künstler gegeben. Warum jetzt? Und was ist dagegen zu tun? Der Katalysator ist natürlich die Pandemie. Die Schließung von Live-Locations hat viele Musiker um den Großteil ihres Einkommens gebracht. Die staatliche Unterstützung war völlig unzureichend.

Die Wut wurde noch verstärkt durch die Milliardengewinne der Konzerne – in Zeiten, in denen viele Künstler darum kämpfen, ihre Miete zu bezahlen. Einige Plattenfirmen und Streaming-Dienste sehen ihre (Markt)Bewertungen in den zweistelligen Milliardenbereich ansteigen.
Keiner von ihnen hat bisher angekündigt, dass sie etwas von ihrem Geldregen mit den Künstlern und Songwritern teilen werden, die ihn überhaupt erst möglich gemacht haben.

Der Ärger der Künstler ist verständlich, aber was kann man dagegen tun?

Die Antwort liegt meiner Meinung nach in der Musikindustrie selbst, die sich im Streaming-Zeitalter nur sehr langsam modernisiert hat. Das Klischee des allmächtigen Plattenmoguls, der Karrieren gewährt, sollte ein Ding der Vergangenheit sein. Die Musikindustrie muss akzeptieren, dass sie in dieser neuen Welt ein Dienstleister ist. Künstler sind es, die die Musik machen, und sie sind es, denen der Löwenanteil der Erlöse zusteht. Ohne Musiker gibt es keine Musikindustrie.

Das erfordert einen neuen Blick auf die Aufteilung der Einnahmen. Von jedem 9,99-Euro-Monatsabonnement eines Streaming-Dienstes gehen gerade einmal 1,60 Euro an die Verantwortlichen für die Musik, der Rest wird von der Plattenfirma, dem Musikverlag, dem Streaming-Dienst und natürlich der Regierung aufgesaugt.

Gleichzeitig müssen wir das historische Verhältnis überprüfen, bei dem die Aufnahme mehr als das Dreifache wert ist als der Song (Text und Melodie). Streaming war überwältigend gut für die Musik. Die gesamte Branche ist den Unternehmern zu Dank verpflichtet, die mit ihrer Vision die Musik für das digitale Zeitalter neu erfunden haben.
Aber die digitalen Services müssen sich ihrer Verantwortung stellen, gegen Betrug auf ihren Plattformen vorzugehen, und sie müssen erkennen, dass ihre Zukunft begrenzt sein wird, wenn ihre innovative Technologie nicht sowohl für Künstler und Songschreiber als auch für Fans und Aktionäre funktioniert.

Musiker wieder wertschätzen

Schließlich – und das ist in dieser Woche, in der sich deutsche Politiker mit dem Zorn von mehr als 1000 Künstlern auseinandersetzen, besonders relevant – ist es die Art, wie die Gesellschaft selbst mit ihrer Verantwortung gegenüber Musikern umgeht.
Als ehemaliges Mitglied einer Band, als Produzent, Musikverleger und CEO ist Musik immer mein Leben gewesen. Ich habe eine Botschaft für unsere Politiker: Man kann nicht behaupten, Musik zu lieben, wenn man nicht auch die Musiker selbst wertschätzt.

 

Quelle: www.welt.de | Text: Hartwig Masuch | Fotoquelle: AFP

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