Wie die GEMA mit Hilfe ihrer Zeitschrift „Virtuos“ ihre Mitglieder einseitig (und damit falsch) informiert.
In der letzten Ausgabe des Magazins der GEMA „Virtuos“ vom August 2010 veröffentlichte der GEMA-Mitarbeiter Jürgen Brandhorst unter der Überschrift „Die Verteilung Teil III“ die Sparten U, M und die Nettoeinzelverrechnung auf Seite 57 unter der Überschrift „Verbreitete Fehlinformationen im Zusammenhang mit dem PRO-Verfahren“ einseitige Behauptungen. Brandhorst erweckt hier durch Weglassen bedeutender Grundinformationen und Urteilsbegründungen des Bundesgerichtshofes zum PRO-Verfahren den Eindruck, als gäbe es keine berechtigte Kritik am „PRO-Verfahren“ im Hinblick auf die Ermittlung von Aufführungszahlen und Ausschüttungen namens PRO und als sei das Urteil des Bundesgerichtshofes zum PRO-Verfahren aus dem Jahre 2005 seitens der GEMA vollständig umgesetzt worden.
Dazu hier unsere Richtig-Stellungen:
Fehlinformation 1:
Brandhorst schreibt, dass das PRO-Verfahren kein Abrechnungsverfahren, sondern ein Ermittlungsverfahren von Aufführungszahlen von Werken mittels statistischen Methoden sei. Er behauptet, dass die Abrechnung in der Sparte U als kollektive Verrechnung anhand eines einheitlichen Punktewertes erfolgt.
Dazu stellte der jahrzehntelange Vorsitzende, Gründer und heutige Ehrenpräsident der GEMA Prof. Dr. Erich Schulze schon in 2001 Folgendes fest: „Der Verteilungsplan (dem das PRO-Verfahren vorgeschaltet ist, d. R.), zu dessen Änderung es eines Mitgliederversammlungsbeschlusses bedarf, beschränkt sich nicht nur auf die Art und Weise der Verteilung (Abrechnung, d. R.), sondern umfasst auch die Art und Weise der Programm erfassung“.
Dazu unsere Meinung:
Ein Großteil des Konzert-Abrechnungsverfahrens in der U-Musik ist unmittelbar abhängig vom vorgeschalteten Ermittlungsverfahren „PRO“.
Fehlinformation 2:
Brandhorst verbreitet die Auffassung, dass die Annahme falsch sei, dass aufgrund des PRO-Verfahrens weitverbreitete Werke bis zu 144fach höhere Ausschüttungen erhalten. Er führt aus, dass hier offenbar die maximal erreichbare Matrix-Kennzahl von 144 verwechselt wird mit dem höchstmöglichen PRO-Faktor. Er meint, dass die Anwendung des PRO-Verfahrens für das Geschäftsjahr 2009 zu einer Gewichtung von programmbelegten Aufführungen mit höchstens dem Faktor 1,6774 (bei Matrix-Kennzahl von 144) führt.
Hier erweckt Brandhorst den Eindruck, dass die im eingeführten PRO-Verfahren maximal erreichbare Martrix-Kennzahl von 144 nicht gleichzusetzen ist mit dem höchsten PRO-Multiplikationsfaktor, sondern dass es lediglich eine Gewichtung von programmbelegten Aufführungen mit höchstens dem (Multiplikationsfaktor) Faktor 1,6774 gäbe.
Dazu eine Feststellung des heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden der GEMA Jörg Evers aus dem Jahre 2001 (redaktionell bestätigt in 2005):
„Bei der Anwendung des PRO-Verfahrens kann es bei einer MKZ-Zahl von 144 sogar zum bis zum 2,2412-Fachen dieses Multiplikators kommen. Das bedeutet, dass ein Komponist des Typs A (Komponist von Standardrepertoire-Werken, die zu allen Jahreszeiten und in regional verschiedenen Veranstaltungen regelmäßig gespielt werden) bei den Billigtarifen (Clubauftritten z.B.) über das 50,5-Fache der für diese Veranstaltung inkassierten Beträge erhalten kann und bei der letzten Abrechnung auch bereits erhalten hat!“
Weiter führt Evers aus: „… Daraus folgt, dass die Subventionierung der Billigtarife (z. B. Clubkonzerte) beim alten Hochrechnungsverfahren mit dem 22,5-Fachen und beim PRO-Verfahren mit dem bis zu über 50-Fachen des tatsächlichen Inkassos nicht mehr zumutbar ist und nicht im Geringsten dem Postulat einer angemessenen Vergütung entspricht.“
Und weiter führt Evers aus: „Das neue PRO-Verfahren führt also in den meisten Bereichen zu noch größeren Verzerrungen und Ungerechtigkeiten als das alte Verfahren, das aber ebenfalls unbefriedigend ist! Ein neues realitätsbezogenes Verfahren, das in enger Korrelation zum Inkasso steht, ist deshalb dringend erforderlich!“
Dazu unsere Feststellung:
Natürlich spielt die Größe der erreichbaren Matrixkennzahl des PRO-Verfahrens eine entscheidende Rolle für den höchstmöglichen Multiplikationsfaktor für die Tantieme-Ausschüttungen! Der Multiplikationswahnsinn des PRO-Verfahrens wird auch mit einer über 50,5fachen Tantiemeausschüttung (im Verhältnis zum Inkasso) gut sichtbar!
Fehlinformation 3:
Brandhorst führt aus, dass die Ausschüttungen für die Aufführungen eines Werkes keinen Bezug zum Inkasso der GEMA für die betreffenden Veranstaltungen hätten. Er verneint zudem, dass es aufgrund des PRO-Verfahrens häufig zu extremen Ungerechtigkeiten käme, da an die kleinen Urheber, bei denen die Konzertveranstalter die sog. Billig-Tarife zahlen, oft nur 10% des vom Veranstalter gezahlten Veranstaltungsinkassos ausgeschüttet würden, während die großen Mitglieder (Brandhorst meint hier sicherlich die Künstler, die in großen Konzertsälen spielen) regelmäßig mehr als 50% der von der GEMA vereinnahmten Konzertlizenzen erhielten.
Diese Aussage ist inhaltlich vollkommen falsch und wird auch von keinem intelligenten Musikurheber vertreten! Tatsächlich erhalten all die Bands und Interpreten in Deutschland, die im Konzertveranstalterlizenzbereich zwischen 350,– Euro und 750,– Euro spielen (in größeren Clubs und Sälen), Lizenzabzüge für ihre eigenen, selbstkomponierten und getexteten Songs von bis zu 90%! (Beispiel: Ein Konzertveranstalter zahlt an die GEMA 700,– Euro Lizenzabgabe und die selbstaufführende Band erhält für ihre in diesem Konzert aufgeführten Eigenkompositionen von diesem eingezahlten Betrag lediglich 70,– Euro zurückgezahlt.)
Bands in kleinen Clubs hingegen erhalten oft höhere Tantiemeausschüttungen als die Lizenzbeträge, die vorher von den Veranstaltern eingezahlt wurden. Die von der GEMA abgeschöpften Profibands und Interpreten im höheren Eintrittsbereich und größeren Konzert-qm-Bereichen sind die Dummen, denen insgesamt zweistellige Millionenbeiträge von der GEMA weggenommen (vorenthalten) werden.
Brandhorst führt dazu aus: Wenn in der Sparte U kein Bezug zwischen dem Inkasso für eine bestimmte Konzert-Veranstaltung und dem Ausschüttungsbetrag für ein dort aufgeführtes Werk besteht, so würde dies seine Ursache nicht im Pro-Verfahren, sondern in der kollektiven Verrechnung anhand eines einheitlichen Punkt-Wertes haben!
Brandhorst führt weiter aus: „Die GEMA konnte – aufgrund von eigenen Recherchen, aber auch nach Prüfung von Hinweisen aus Mitgliederkreisen – bislang keine konkreten Fälle entdecken, in denen Urheber im Rahmen der kollektiven Verrechnung nur 10% des für ihre Werke erzielten Lizenzaufkommens von der GEMA vergütet bekommen haben. Wenn Rechenbeispiele veröffentlicht werden, anhand derer diese Behauptungen belegt werden sollen, so sind diese regelmäßig fiktiv und nicht repräsentativ.“
Dazu der heutige Aufsichtsratsvorsitzende der GEMA Jörg Evers in seinem Gutachten in 2001 (redaktionell bestätigt in 2005):
„Aus den … Erfahrungen aus der Praxis (des PRO-Verfahrens) ergibt sich … zwingend, dass sowohl das PRO-Verfahren als auch das alte Hochrechnungsverfahren gravierende Schwächen haben, die nicht mehr länger hingenommen werden sollten. Denn setzt man die Ausschüttungsbeträge an die Mitglieder in Relation zum jeweiligen Inkasso, so wird sofort das ganze Ausmaß der z. T. drastischen Verzerrungen deutlich, die sich nicht mehr mit der im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz verankerten Verpflichtung der GEMA zur angemessenen Vergütung vereinbaren lassen.“
Und weiter führt Evers aus: „Bei den Billigtarifen (z. B. bei Clubkonzerten, d. R.) mit einem geringen GEMA-Inkasso ergibt sich sogar eine fast obszöne, gigantische Subventionierung, die in keinem vernünftigen, gegenseitigen Verhältnis mehr steht.“
Evers weiter: „Die Berechtigten (Komponisten und Texter) bei Veranstaltungen mit Inkasso von DM 1.999,99 (heute liegt die Direktverrechnungsgrenze bei 750,– Euro) und mit einer MKZ-Zahl 1 subventionieren die Billigtarife (z. B. Clubauftritte) mit dem über 16-Fachen ihres ausgeschütteten Einkommens ? Kommen bei teuren Tarifen weniger als 35 Werke zur programmmäßig erfassten Aufführung, wie z. B. bei Jazz-Veranstaltungen und bei Programmen mit Rockmusikwerken/Songs längerer Laufzeit und damit geringerer Werkaufführungsgesamtzahl, so erhöht sich diese Subventionierung noch um ein Vielfaches!“
Der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Jörg Evers kommt in seinem Gutachten aus dem Jahre 2001 (redaktionell bestätigt im Jahre 2005) zu folgendem Ergebnis:
„Das neue PRO-Verfahren führt also in den meisten Bereichen zu noch größeren Verzerrungen und Ungerechtigkeiten als das alte Verfahren, das aber ebenfalls unbefriedigend ist! Ein neues realitätsbezogenes Verfahren, das in engerer Korrelation zum Inkasso steht, ist deshalb dringend erforderlich!“
Dazu unsere Feststellung:
Die von uns erarbeiteten Einzahlungs- und Ausschüttungsstatistiken zum PRO-Verfahren wurden der GEMA in 2009 in Berlin vorgelegt. Diesen Berechnungen wurde seitens der GEMA nicht widersprochen.
Den Behauptungen Brandhorsts, dass es sich hier nur um fiktive, also nicht um realitätsbezogene Berechnungen handelt, widersprechen wir. Es gibt genügend Fälle von selbstaufführenden Musikgruppen und Interpreten in Deutschland, die unsere mathematischen Berechnungen bestätigt haben, dass bis zu 90% der von Konzertveranstaltern eingezahlten Konzertlizenzgebühren bei Konzerten mit eigenen Songs von der GEMA einbehalten werden. Selbst der Aufsichtsratsvorsitzende der GEMA, Jörg Evers, kam in seinen Berechnungen zu ähnlichen Ergebnissen.
Fehlinformation 4:
Brandhorst stellt in Abrede, dass das Urteil des Bundesgerichtshofes zum PRO-Verfahren aus dem Jahre 2005 immer noch nicht umgesetzt worden sei.
Brandhorst schreibt: „Nach wie vor ist die Behauptung zu hören, der Bundesgerichtshof habe die GEMA dazu aufgefordert, das PRO-Verfahren in der Mitgliederversammlung zur Abstimmung zu stellen und die GEMA habe dieses Urteil immer noch nicht umgesetzt.“
Dazu unsere Feststellung:
Bis heute hat die GEMA eine Mitgliederabstimmung zum PRO-Verfahren verweigert! Der Bundesgerichtshof machte in seinem Urteil aus 2005 folgende Aussagen:
BGH-Urteils-Zitat 1:
„Das Vorgehen der GEMA, das PRO-Verfahren nur durch Verwaltungsentscheid einzuführen und nicht auch in der Satzung zu regeln (durch Beschluss der Mitgliederversammlung), erscheint im Hinblick auf die Anforderungen, die sich aus §7 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz hinsichtlich der Festlegung der Verteilungsmodalitäten ergeben, bedenklich.“
BGH-Urteils-Zitat 2:
„Das PRO-Verfahren betrifft nicht lediglich Modalitäten der verwaltungsmäßigen Abwicklung der Erlösverteilung, sondern hat – ebenso wie das zuvor angewandte Hochrechnungsverfahren – erheblichen Einfluss darauf, in welchem Umfang Werkaufführungen bei der Erlösverteilung berücksichtigt werden.“ (die Höhe der Tantiemenausschüttungen, d. R.)
BGH-Urteils-Zitat 3:
„Dies spricht“, so der Bundesgerichtshof, „dafür anzunehmen, dass die Anwendung des PRO-Verfahrens in den satzungsgemäßen Formen beschlossen werden muss, die für den Verteilungsplan gelten.“ (also durch Beschluss der Mitgliederversammlung, d. R.)
BGH-Urteils-Zitat 4:
„Nach dem Wortlaut des §6a des Berechtigungsvertrages bilden nur Satzung und Verteilungsplan Bestandteile dieses Vertrages … Die berechtigten Urheber haben ein erhebliches Interesse daran, dass der Inhalt des Berechtigungsvertrages selbst hinsichtlich der Grundsätze, nach denen die Verteilung vorzunehmen ist, nicht einseitig nach dem Abschluss eines einzelnen Berechtigungsvertrages durch Verwaltungsentscheid (des GEMA-Vorstandes und des Aufsichtsrates) verändert werden kann.“
BGH-Urteils-Zitat 5:
„Es ist jetzt Sache der Aufsichtsbehörde (Deutsches Patentamt), darauf zu achten, dass die GEMA als Verwertungsgesellschaft ihren Pflichten aus §7 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz nachkommt.“ (Was unmittelbar als Forderung bedeutet, dass eben eine Mitgliederabstimmung zum PRO-Verfahren durchgeführt werden muss, d. R.)
Dazu stellen wir fest:
Diese Urteilsbegründungen des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 2005, die eindeutig eine Mitgliederabstimmung zum PRO-Verfahren fordern, hat Brandhorst in seinem Artikel einfach weggelassen.
Dazu der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Jörg Evers in seiner gutachterlichen Feststellung aus dem Jahre 2001 (redaktionell bestätigt im Jahre 2005): „Dass ein Hochrechnungsverfahren, das dermaßen stark in die Einkommensverteilung der Mitglieder eingreift, ohne Mitgliederbeschluss eingeführt wurde, ist schlicht unerträglich und nach Meinung vieler Rechtsexperten auch satzungswidrig.“
Evers weiter: „Durch diese Bevormundung wurde den GEMA-Mitgliedern ihr Selbstbestimmungsrecht über essentielle Bereiche ihres Eigentums genommen und sie wurden in diesem Bereich vom treuhänderischen Verwalter quasi entmündigt! Wenn diese Vorgehensweise zur Regel wird, dann besteht die Gefahr, dass vor dem offiziellen GEMA-Verteilungsplan – über den die Mitglieder abstimmen dürfen – ein verwaltungsinterner Verteilungsplan vorgeschaltet wird, in dem die zu verteilenden Gelder in entscheidendem Maße ohne direkte Einflussmöglichkeit der Mitglieder vorportioniert und kanalisiert werden. Unter dem generellen Oberbegriff „verbessertes Erfassungs- und Berechnungsverfahren“ könnten dann massive Eingriffe in die Verteilungssummen auch anderer Bereiche als dem U-Aufführungsbereich erfolgen! Über unbedeutende Marginalien darf dann die Mitgliederversammlung abstimmen.“
Und Evers weiter: „Die einzige Möglichkeit für Vorstand und Aufsichtsrat, aus diesem Dilemma des Vertrauensverlustes herauszukommen, das durch die Bevormundung der (GEMA-)Mitglieder entstanden ist, besteht in der sofortigen Absetzung des PRO-Verfahrens und der Erarbeitung eines neuen Verfahrens unter Beteiligung und mit Beschlussfassung der GEMA-Mitglieder!“
Dazu der jahrzehntelange GEMA-Vorsitzende und heutige Ehren-Präsident der GEMA Prof. Dr. Erich Schulze (im Jahre 2001):
„Ich bin der Auffassung, dass die Einführung des PRO-Verfahrens eines Mitgliederversammlungsbeschlusses bedurft hätte.“
Der GEMA-Mitarbeiter Jürgen Brandhorst zeigt hier in seinen schriftlichen Darstellungen, dass er sowohl das höchstrichterliche Urteil des Bundesgerichtshofes, die Auffassung des GEMA-Ehrenpräsidenten sowie die eindeutige Feststellung des heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden der GEMA Jörg Evers missachtet und die GEMA-Mitglieder massiv einseitig und damit falsch informiert!
Text: Ole Seelenmeyer
Foto: © robynmac/Fotolia.com
Grafikquelle: GEMA