GEMA-„PRO“-VERTEILUNGSVERFAHREN – Die Umverteilung von „Unten nach Oben“

Die GEMA installierte 1998 weitgehend unbemerkt von Politik, Kultur und Öffentlichkeit ohne Abstimmung ihrer ca. 60.000 angeschlossenen, außerordentlichen und ordentlichen Mitglieder ein neues Verteilungsverfahren unter dem Namen „PRO“, das Tausende songschreibende Musikgruppen und Einzelinterpreten aus dem Gesamtbereich der Rock- und Popmusik übervorteilt, wenn diese zum einen Mitglied in der GEMA sind und zum anderen ihre eigenen Konzerte für ihre eigenen Songs organisieren. Mit diesem durch Vorstand und Aufsichtsrat eingeführten Umverteilungssystem schöpft die GEMA Jahr für Jahr Millionenbeträge, um diese Gelder dann über ein ausgeklügeltes Wertungssystem in die Taschen einer bestimmten Gruppe von Mitgliedern fließen zu lassen, die „zufälligerweise“ auch der oberen Führungs- und Abstimmungsriege der GEMA angehören.

Wie dieses ausgeklügelte Finanzumverteilungssystem funktioniert, soll in diesem folgenden Artikel mit mathematischer Genauigkeit an verschiedenen Fallbeispielen verdeutlicht werden.

Das MUSIKER MAGAZIN hat in den vergangenen zehn Jahren in zahlreichen Artikeln auf dieses ungerechte Inkasso- und Verteilungssystem der GEMA hingewiesen, noch nie aber wurde eine genaue tabellarische Übersicht veröffentlicht, mit Hilfe dieser der Leser nachvollziehen kann, was die eine Hand der GEMA von selbstkomponierenden und selbstkonzertierenden Rock- und Popmusikern/Urhebern kassiert und mit der anderen Hand in ihre eigenen Umverteilungskassen („Goldener Topf“) schaufelt. Um allen Lesern dieses Artikels das äußerst komplizierte Konstrukt des sog. „PRO-Verfahrens“ transparent und überschaubar zu erklären, soll hier anhand von Fallbeispielen das System des PRO-Umverteilungssystems erläutert werden.

In Deutschland gibt es nach nunmehr 26-jähriger Arbeit mit dem Deutschen Rock & Pop Musikerverbandes e. V. einen Verband, der heute ca. 20.000 Rock- und Popmusiker aller musikstilistischen Bereiche repräsentiert. Tausende von Musikgruppen und Einzelinterpreten, die zum Großteil ihrer Songs selber komponieren und texten, Mitglied der GEMA sind, aber auch mangels Konzertbuchungen bei Clubs, Stadtfesten, Events und Festivalveranstaltungen etc. das Konzertmanagement ihrer Musikgruppen in die eigene Hand nehmen und ihre Konzerte selber organisieren, sind von diesem hier beschriebenen Thema existentiell betroffen. Diese Musikgruppen müssen, wie alle anderen Konzertveranstalter in Deutschland auch, ihre Konzerte bei den verschiedenen GEMA-Bezirksdirektionen in den einzelnen Bundesländern anmelden, wenn auf diesen Konzerten Werke gespielt werden, die entweder bei der GEMA registriert sind oder deren Urheber bei der GEMA Mitglied sind.

Es ist bekannt, dass ein Großteil der semiprofessionellen Musikgruppen und Einzelinterpreten aus dem Gesamtbereich der Rock- und Popmusik in den letzten 30 Jahren die angeschlossene oder außerordentliche Mitgliedschaft in der GEMA beantragt hat. Wenn diese Musikgruppen und Einzelinterpreten in ihren selbst organisierten Konzerten ihre eigenen Songs vermischt mit Fremdkompositionen im Rahmen eines Konzertprogramms spielen, dann ergibt sich hieraus die Verpflichtung, nicht nur die Anmeldung dieser Konzerte bei den einzelnen GEMA-Bezirksdirektionen vorzunehmen, sondern folgend auch nicht unerhebliche Tarifzahlungen an die GEMA zu entrichten.

Zur Vereinfachung und zur besseren Transparenz der folgenden Fallbeispiele soll hier für diese selbstorganisierten Konzerte in Clubs, Hallen, Sälen und Gaststätten von einer Größe des Veranstaltungsraumes von ca. 350 qm und von einem Eintrittsmittel zwischen 10,– und 20,– Euro pro Konzertkarte ausgegangen werden. Viele Live-Clubs in Deutschland, aber auch viele städtische Säle und Hallen weisen diese Quadratmetergrößen aus, zahlreiche semiprofessionelle Musikgruppen und Einzelinterpreten konzertieren im Eintrittsbereich zwischen 10,– und 20,– Euro.

Weiter soll zur Vereinfachung und Transparenz der Fallbeispiele von einem Musikprogramm der einzelnen Musikgruppen ausgegangen werden, in denen drei Viertel des Konzertprogramms aus Eigenkompositionen bestehen und ein Viertel aus Coversongs, d. h. Fremdkompositionen. Zudem soll bei verschiedenen Fallbeispielen davon ausgegangen werden, dass die Musikgruppen und Einzelinterpreten über keine professionell produzierte und vertriebene CD verfügen.

FALLBEISPIEL 1:

Eine semiprofessionelle Rock- und Popmusikgruppe, über ihre Songschreiber Mitglied der GEMA, organisiert in Eigenarbeit in sechs Monaten des Jahres sechs verschiedene Konzerte in sechs verschiedenen Bezirksdirektionen der GEMA für die eigene Musikgruppe in sechs verschiedenen Clubs, Gaststätten oder städtischen Sälen. An den Kassen erhebt diese Musikgruppe einen Eintritt von 12,– Euro pro Konzertbesucher, die Größe des Clubs/des Saales beträgt, wie vorausgeschickt, ca. 350 qm. Als Folge dieser genannten Eintrittshöhen und Saalgrößen verlangen die GEMA-Bezirksdirektionen hier von den selbstaufführenden und selbstveranstaltenden Musikgruppen und Einzelinterpreten ca. 300,– Euro pro Konzert. Bei sechs Konzerten (ein Konzert pro Monat) sind damit Zahlungen in Höhe von 1.800,– plus MwSt. an die GEMA fällig. Es entspricht dem eigentlichen Verständnis an Anstand und Gerechtigkeit, dass die GEMA nach Abzug einer Verwaltungsgebühr von 15% den Rest dieser eingezahlten Konzertveranstaltertarife an ihre eigenen Mitglieder in Höhe von ca. 1.530,– Euro, so wie im mechanischen Vervielfältigungsbereich auch, an die Urheber der Musikgruppen wieder zurückzahlt. Groteskerweise folgt die GEMA diesem logischen Schluss nicht, sondern zahlt lediglich 10 % der eingezahlten Gelder, nämlich 187,– Euro (wenn alle GEMA-Abrechnungen gut gehen) an die Urheber, die Songschreiber der Musikgruppen, aus und behält damit praktisch ca. 1.600,– Euro = ca. 90 % ein. Dieser unglaubliche Tatbestand zieht die Frage nach sich, mit welchem Recht die GEMA all die songschreibenden Musikgruppen und Einzelinterpreten in Deutschland in so unglaublicher Weise bestraft, die mangels Manager oder Konzertveranstalter ihre Konzertauftritte selber veranstalten und deshalb auch selbst die Auftrittslizenzen an die GEMA zahlen müssen. (Für Fremdkompositionen kassieren „fremde“ Bezugsberechtigte!)

Was passiert mit dem Geld? Wohin fließen diese selbstbezahlten Urheberrechtstantiemen der Musikurheber an die GEMA?

FALLBEISPIEL 2:

Eine Musikgruppe oder ein Einzelinterpret veranstaltet als Musikurheber und Mitglied der GEMA innerhalb von zwei Bezirksdirektionen in drei Monaten sechs Konzerte als Selbstveranstalter und spielt im Verlaufe ihres Konzertes ca. 15 Eigenkompositionen und 5 Fremdkompositionen. Alle Konzerte finden in mittleren Saalgrößen von ca. 350 qm in größeren Clubs, Sälen, Gaststätten-Sälen etc. statt. Auch diese selbstveranstaltenden Musik(er)-Urheber müssen für diese sechs eigenen Konzerte sechsmal ca. 300,– Euro = 1.800,– Euro an die GEMA zahlen und erhalten lediglich 187,– Euro = ca. 10 % am Jahresende von der GEMA zurück, anstatt, wie es ehrlich und moralisch vertretbarer wäre, nach Abzug einer 15 %igen Bearbeitungsgebühr ca. 1.630,– Euro zurückzuerhalten. (Für Fremdkompositionen kassieren „fremde“ Bezugsberechtigte!)

Auch hier stellt sich die Frage: Mit welchem moralischen Anrecht kassiert hier die GEMA ca. 90 % der durch die aufführenden Musik(er)-Urheber eingezahlten Veranstalterlizenzen an die GEMA ein? Wohin fließt das Geld? Wer erhält diese Gelder?

FALLBEISPIEL 3:

Eine Musikgruppe oder ein Einzelinterpret tritt als selbstaufführender GEMA-Musikurheber in sechs Monaten in sechs verschiedenen selbstorganisierten Konzerten im Umfeld einer Bezirksdirektion in sechs Konzertsälen mit einer mittleren Größe von 350 qm auf (Clubs, Gaststätten, Säle etc.).

Auch in diesem Fall kassiert die GEMA 6 x 300,– Euro = 1.800,– Euro seitens der selbstaufführenden Musik(er)-Urheber ab und zahlt nur ca. 10% an die Musik(er)-Urheber nach einem Jahr wieder aus. Auch bei diesem Beispiel kassiert die GEMA praktisch 90 % der eingezahlten Veranstaltungslizenzen und behält diese ohne eine moralisch nachvollziehbare Begründung ein. (Für Fremdkompositionen kassieren „fremde“ Bezugsberechtigte!)

WAS PASSIERT MIT DIESEM GELD?
WOHIN FLIEßT DIESES GELD?

Der Verbleib der einkassierten und nicht ausgeschütteten Veranstalterlizenzen dieser selbstaufführenden und selbstveranstaltenden Musikurheber ist einfach geklärt: Diese Gelder wandern in den symbolischen großen zentralen Ausschüttungstopf („Goldener Topf“) der GEMA, der dann nach einem bestimmten Ausschüttungs- und Wertungsverfahren an die Personen ausgeschüttet wird, die in keinster Weise etwas mit den hier angeführten Konzerten zu tun haben: Nämlich z. B. an genau die Personen innerhalb der GEMA, die zum einen an völlig anderen Ausschüttungen teilhaben oder/und über die meisten von der GEMA ihnen zugeteilten Wertungspunkte verfügen (Stichwort Wertungsausschuss). In der Konsequenz heißt dies in der Praxis, dass die Personen innerhalb der GEMA, die über die meisten Wertungspunkte verfügen, im Rahmen der Ausschüttungsberechnungen das meiste Geld aus dieser „Goldenen Zentralkasse“ erhalten. (Wertungsausschuss-Einstufungen statt 12 -> 36 Punkte!)

Wer erhält nun auf welche Weise Wertungspunkte in der GEMA? Schon vor Jahrzehnten installierte die GEMA einen sog. Wertungsausschuss, der in jahrzehntelangen Entscheidungen die Wertungspunkte an zumeist namhafte Komponisten und Texter vergibt. Zum anderen spielt die Anzahl der Mitgliedsjahre in der GEMA ebenfalls eine Rolle in der Zuerkennung von Wertungspunkten.

Dramatisch wirkt sich diese unglaublich ungerechte und durch nichts zu rechtfertigende Ausschüttungspraxis der GEMA im Rahmen des neuen PRO-Verfahrens vor allen Dingen auf die GEMA-Mitglieder aus, die zu den selbstaufführenden und selbstveranstaltenden GEMA-Musikurhebern in den neuen Bundesländern gehören, die also den GEMA-Bezirksdirektionen Berlin und Dresden zuzuordnen sind. Dieser Sachverhalt liegt allein darin begründet, dass diese selbstaufführenden und veranstaltenden GEMA-Musikurheber mit ihren Musikgruppen oder als Einzelinterpreten bis zu 300 km fahren müssen, um in eine andere Bezirksdirektion der GEMA zu gelangen, während eine andere selbstaufführende und selbstveranstaltende Musikgruppe oder ein Einzelinterpret z. B. aus dem Ruhrgebiet nur aus der Haustür herauszutreten braucht, um in insgesamt drei verschiedene von der GEMA immer noch in die Verrechnungen einbezogenen Bezirksdirektionen zu gelangen.

Damit werden die Musikurheber in den neuen Bundesländern massiv und unverantwortbar benachteiligt. In der Mehrzahl haben selbst intensiv auftretende Musikgruppen und deren Musikurheber wie z. B. Puhdys, City, Silly Sterncombo Meißen etc. niemals eine faire Chance, ordentliches GEMA-Mitglied zu werden, denn eine ordentliche GEMA-Mitgliedschaft hängt davon ab, ob ein antragstellendes außerordentliches GEMA-Mitglied innerhalb von fünf Jahren mindestens 33.000,– Euro mittels GEMATantiemen verdient. Das Problem bei allen Musikgruppen aus den neuen Bundesländern liegt darin, dass die Mehrzahl ihrer Konzerte eben in den neuen und nicht in den alten Bundesländern stattfindet.

Zum Schluss dieses Artikels, den ich von fachlicher Seite vor Veröffentlichung habe prüfen lassen, stelle ich noch einmal fest, dass das PROVerfahren in seinen Auswirkungen in höchstem Maße ungerecht, unverantwortlich und unakzeptabel ist. Zahlreiche Musikurheber in Deutschland werden durch dieses neue PRO-Verteilungsverfahren der GEMA tatsächlich übervorteilt.

Dass sich die GEMA bis heute nicht dazu durchgerungen hat, dem Urteil des Bundesgerichtshofes darin zu folgen, über dieses vor ca. zehn Jahren ohne Mitgliederbeschluss eingeführte PRO-Verfahren durch die Mitgliederversammlung der ordentlichen GEMA-Mitglieder abstimmen bzw. es absegnen zu lassen, steht auf einem anderen Blatt. Hier missachtet die GEMA in unglaublicher Selbstherrlichkeit ein höchstrichterlich erlassenes Urteil dieser obersten Gerichtsinstanz der Bundesrepublik Deutschland. Darüber werde ich in der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift noch einmal eingehend in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Kulturstaatsminister Bernd Neumann sowie an die Bundesjustizministerin Zypries berichten.

Text: Ole Seelenmeyer

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