In der Popmusik sind die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern nach wie vor ungerecht verteilt
Musik ist nicht nur Kultur, sondern auch eine Industrie. Eine Industrie, die sich nach rückläufigen Umsätzen Anfang der 2000er-Jahre langsam wieder erholt. Die Machtverhältnisse sind derzeit aber ähnlich geblieben: Vor allem der Inner Circle der Musikindustrie ist nach wie vor ein Männerverein. In den Vorstandsetagen von Sony, Universal und Warner Music International sitzen ausschließlich Männer und nur knapp acht Prozent der beim Verband unabhängiger Musikunternehmen registrierten Firmen werden von Frauen geführt.
Dabei sind laut einer Umfrage von UK Music, einer Organisation, welche die Interessen der kommerziellen Britischen Musikindustrie vertritt, sogar 59 Prozent der Berufseinsteiger im Musikbusiness Frauen. Sie machen damit mehr als die Hälfte der Mitarbeiter zwischen 25 und 34 Jahren aus. Unter den älteren Mitarbeitern (ab 45 Jahren) und auf Führungsebene finden sich dagegen kaum Frauen.
Lange Zeit war der übliche und einzige Einstieg von Frauen in die Branche der Job als Promoterin. Hübsche junge Mädchen machten den meist männlichen Pressevertretern die Produkte der Musikindustrie schmackhaft. Für hochrangige Jobs wurden Frauen eher nicht in Betracht gezogen. Diese Strukturen ändern sich langsam, sind aber gerade bei den Majors nicht leicht aufzubrechen.
In Interviews geben in der Musikindustrie tätige Frauen überdies immer noch häufig an, mit Sexismus konfrontiert zu sein. Sobald ein Mann mit im Raum sei, werde mit ihm das Geschäftliche besprochen, auch wenn eine Frau alle zu besprechenden Konzepte selbst ausgearbeitet habe. Viele Befragte räumen aber ein, dass ihre Arbeit auch von etlichen männlichen Kollegen in der Branche geschätzt werde, denen zumeist gar nicht auffalle, dass in den höheren Positionen oder auch z.B. in Musikredaktionen kaum Frauen vertreten sind.
Und wie sieht das Ganze auf Künstlerseite aus?
Im Durchschnitt sind unter den Interpreten der Deutschen Single-Charts seit 2000 nur 26 Prozent Frauen. Das ist den meisten gar nicht so bewusst. Auch auf großen Festivals liegt der Anteil weiblicher Interpreten oft bei unter 10 Prozent. Hier fällt auf, dass die meisten Künstlerinnen Sängerinnen sind, Instrumentalistinnen sind selten. An den Universitäten studieren zudem mehr Männer Popularmusik als Frauen. Frauen belegen auch da zumeist das Fach Gesang. Ein paar Bassistinnen und Schlagzeugerinnen gibt es, aber selten Gitarristinnen oder Keyboarderinnen. Im Jazz studieren die Frauen meist Gesang und Piano und sind an den anderen Instrumenten seltener vertreten. Welche Gründe kann das haben? Werden Mädchen generell weniger ermutigt, selbst aktiv in einer Band zu spielen oder hinter den Turntables zu stehen, sondern in die Rolle als Muse, Groupie und Fan gedrängt? Rockmusik hat ihre Wurzeln im Blues und im Country, die zum Teil sehr vom Machotum geprägt waren.
Im Schnitt fangen Frauen tatsächlich deutlich später an, in einer Band zu spielen, als Männer. Zwar nehmen sie häufig schon als Kind Musikunterricht, eine klassische Ausbildung ist für den Einstieg in eine Band aber unter Umständen nicht ausreichend. Hier muss man sich von Noten distanzieren, die Musik fühlen, selbst kreativ sein und sich Parts für sein Instrument ausdenken. Alles muss auswendig gespielt werden – oder es bleiben selbst für exzellente Instrumentalisten nur simple Parts zugunsten der anderen Bandmitglieder übrig (damit zum Beispiel der Gesang besser durchkommt, der mit der Frequenz der Gitarre konkurriert). Für viele Männer ist die Band oft auch ein Rückzugsort von zu Hause (ähnlich wie manche Sportvereine), wo sie unter sich sein können. Sie machen die Band außerdem häufiger zu ihrem Lebensmittelpunkt, während Frauen häufig noch andere Prioritäten, vor allem im sozialen Bereich, setzen.
Auch die für Bands typischen elektronischen Instrumente bringen Herausforderungen mit sich. Da Mädchen in ihrer Sozialisation in der Regel weniger mit Technik herumexperimentieren, liegt bei ihnen unter Umständen die Hemmschwelle im Umgang mit Hightech-Geräten höher, sie haben zum Beispiel Angst vor einem Feedback der Verstärker. Außerdem muss man sein Equipment warten und gegebenenfalls auch reparieren können, und nicht nur dafür sind Fachbegriffe unabdinglich. Auf Konzerten muss man sich schließlich mit den Technikern beim Soundcheck und dem Veranstalter im Vorfeld verständigen können. Während Männer sich häufiger für technische Spielereien begeistern, sind Frauen eher desinteressiert. Das kann an ihrer Sozialisation liegen, aber auch daran, dass Männer gern fachsimpeln und Frauen dabei systematisch ausgrenzen.
Die Hürden für eine Frau, ein Instrument in einer Band zu spielen, sind also höher. Am leichtesten haben es noch Bassistinnen. Der Bass ist in einer Pop-/Rockband ein eher unbeliebtes Instrument, das man am schlechtesten heraushört. Auch ist der Bassist als Teil der Rhythmusgruppe weniger am Songwriting beteiligt und steht seltener durch Soli im Vordergrund. Das mächtige und laute Schlagzeug sowie die Aufmerksamkeit garantierende Gitarre bleiben jedoch häufig in Männerhand. Frauen wird eben kaum Verständnis für Musik zugetraut, sie sind in erster Linie dazu da, der Band zu huldigen.
Auch die Anzahl weiblicher DJs ist geringer, zudem werden sie weniger ernst genommen. Bekannte It-Girls oder Erotikmodels, die als „DJane“ arbeiten, tragen dazu bei. Bei ihnen läuft in der Regel ein vorproduzierter, fertiger Mix, während die Künstlerin ein paarmal etwas ins Mikro sagt, aber im Grunde keiner DJ-Tätigkeit nachgeht. In anderen Genres wie dem Dance sind Frauen ebenfalls meist in der klassischen Besetzung als Sängerin anzutreffen, während ein Mann an den Keys bzw. Turntables steht. Als Produzentinnen oder Komponistinnen wiederum treten Frauen nahezu überhaupt nicht auf.
Selbst hinter den Hits weiblicher Interpreten wie Helene Fischer, Nena oder internationaler Topstars wie Ariana Grande, Beyoncé oder Céline Dion stecken oft Männer. BR Puls hat zusammen mit der GEMA die 100 Songs analysiert, für die Urheber in der Zeit von 2001 bis 2015 die meisten Ausschüttungen durch Radioairplays erhielten. Ergebnis: Nur rund 11 Prozent der Songs stammen von Frauen.
Dass Frauen überhaupt komponieren und Komposition studieren dürfen, war lange Zeit nicht selbstverständlich; darum gibt es auch wenige historische Vorbilder. Eine Ausnahmeerscheinung wie Clara Schumann durfte nur komponieren, weil sie von ihrem Vater und ihrem Mann sehr gefördert und unterstützt wurde. Fanny Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn, veröffentlichte einige Stücke unter dem Namen ihres Bruders, weil ihre Stücke anderenfalls nicht anerkannt worden wären. Bis heute scheinen sich diese Strukturen auszuwirken.
In der Welt der klassischen Musik ist die Hürde für Frauen, ein Instrument zu erlernen, deutlich niedriger. Hier wird wie in der Musikschule nach Noten gespielt, die Mädchen sammeln im gleichen Alter wie die Jungen Erfahrungen am Instrument. Dirigentinnen aber sind bis heute ebenfalls rar gesät.
Alte Strukturen, traditionelle Sozialisation und fehlende Vorbilder bremsen also den Zugang der Frauen in die Musikbranche, möglicherweise leistet aber auch die Berichterstattung über Musik ihren Beitrag: Vielleicht liegt das daran, dass die Musiknerds, die sich im Internet und auf Messen austauschen, in der Regel Männer sind. Einige Frauen veröffentlichen ihre Artikel sogar teils unter männlichem Pseudonym, um, insbesondere bei Online-Veröffentlichung, weniger unsachliche Kritik, die primär gegen das Geschlecht der Autorin geht, einstecken zu müssen.
Nur etwa 20 Prozent der Musikjournalisten sind Frauen – das ist deutlich weniger als in anderen Kulturressorts. Über weibliche Künstler wird zudem oft anders berichtet als über männliche. Sehr oft wird das Geschlecht selbst zum Thema, gerade wenn die betreffende Künstlerin eine Stilrichtung vertritt, in der es weniger Frauen gibt. Linus Volkmann, der schon lange als Musikjournalist für verschiedene Medien tätig ist, hat das nach Lektüre einer Kritik über eine Band aus zwei Frauen auf den Punkt gebracht: „Frauenduo – Ganz zentral: Die Frau in der Musik als Abweichung zu sehen und zu beschreiben. Man stelle sich dagegen mal folgenden Satz vor: Die Pet Shop Boys sind ein Männerduo aus London. Kein Redakteur bei Verstand würde so etwas über den Schreibtisch lassen – außer es handelt sich um ein Frauenduo, dann muss dieser Zoo-Moment natürlich auch gebührend Erwähnung finden.“ Auch das Äußere spielt in Berichten über weibliche Stars eine ungleich größere Rolle: Männern wird fehlende Attraktivität viel eher verziehen bzw. ist einfach nicht relevant, da die Musik im Zentrum der Berichterstattung steht.
Trotz all dieser unübersehbaren Benachteiligungen von Frauen in der Musikbranche gibt es auch Anzeichen eins langsamen Wandels: Gründerinnen neuer Independent-Labels sind häufig Frauen, und eine Gitarristin wie Bibi McGill geht nicht nur mit Beyoncé auf Tour, sondern fungierte gleichzeitig als musikalische Leiterin der Tournee.
Text: Ronja Rabe
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