„Die Coronazeit zwingt Musiker zu einem neuen Geschäftsmodell. Weil weder CDs noch Streaming und zunehmend auch Livemusik nicht genug bringen, sind sie auf Werbeeinnahmen und Direktverkäufe an ihre Fans angewiesen.
Wenn es um ihr Privatleben geht, sind heutige Popstars deutlich offener als ihre Vorgänger. Neben der Arbeit an ihrer Musik zeigt sich etwa Loredana auf TikTok während eines Eingriffs beim Zahnarzt, Kollegin Badmómzjay mit verunglücktem Make-up und Juju postet Flüche, die viele außerhalb ihrer Generation wohl geschmacklos oder diskriminierend finden. Nur über einen zentralen Teil ihrer Arbeit reden sie so ungern wie ihre Vorgänger: Wie sie ihr Geld verdienen.
Kein Wunder. Denn nach Digitalisierung und Streaming hat auch die Coronazeit das Geschäftsmodell der Künstler auf den Kopf gestellt. „Nun müssen sie möglichst viel Geld direkt mit ihren größten Fans umsetzen“, sagt Tatiana Cirisano, auf die Musikbranche spezialisierte Analystin des britischen Marktforschers Midia Research. Das ist vielen peinlich, weil sie ihren Anhängern ansonsten das Gefühl geben, sie seien Teil der „Fam“ genannten engen Bezugsgruppe – und keine simple Geldquelle.
Bis kurz nach der Jahrtausendwende lebten Popmusiker meist vom CD-Verkauf und kassierten bis zu drei Euro pro Album. Zusätzliches Geld fließt, wenn die Musik im Radio oder in der Werbung und Filmen läuft. Wer seine Musik selbst schreibt, bekommt zudem auch Geld, wenn andere seine Lieder nachspielen. Konzerte waren vor allem Werbung für die Platten – und Gelegenheit ein paar Fanartikel zu verkaufen. Nur Superstars wie die Rolling Stones mit eher mäßigen Umsätzen ihrer aktuellen Tonträger verdienten richtig Geld: laut Branchenkennern nicht selten bis zu einer Millionen Dollar – pro Auftritt und Bandmitglied.
Eine aktuelle YouGov-Studie zu Medienkonsum und -trends in 18 Ländern zeigt, dass vor allem Streaming-Dienste in Deutschland mit weniger Kunden rechnen müssen, während der allgemeine Medienkonsum online weiterhin wächst.
Spätestens als im neuen Jahrtausend mit dem Siegeszug illegaler Portale wie Napster der CD-Umsatz auf kaum die Hälfte abgesackte, kippte das Modell. Von den nun vorherrschenden digitalen Downloads kauften Fans statt kompletter Alben oft nur einzelne Songs. Das bescherte den Plattenfirmen dank der niedrigeren Kosten für Vertrieb und Herstellung bei geringen Umsätzen zwar ähnliche Gewinne. Doch den Musikern bleiben oft nur noch einstellige Centbeträge. Und als Streaming seinen Siegeszug antrat, waren es pro Abruf sogar weniger als ein Zehntel Cent. Also wurden für Künstler wie Lena, die 2010 noch mit dem Nachnamen Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest gewann, Auftritte zum Geldbringer und zur Grundlage einer weltweiten Karriere, die ebenfalls dank TikTok bis heute dauert.
Doch nun ist auch das vorbei. „Inflation und Energiepreise lassen die Kosten extrem steigen“, sagt Analystin Cirisano. Um diese zu decken, müssten Musiker eigentlich Ticketpreise verlangen, die sich die meisten Fans nicht mehr leisten könnten, sagt sie. Doch weil das ihre oft treuen Anhänger verärgern würde, machen sie weniger und sparsamere Konzert. Nur die Einnahmen aus Radio, Werbung oder für Komponisten fließen mehr oder weniger wie früher. „Also brauchen alle neue Einnahmequellen wie Werbung und ihre Webshops“, sagt Cirisano.
Wie der Mix aussieht, zeigt etwa bei Nina Chuba ein Blick auf Abrufzahlen und Informationen aus den Kurzvideos der Sängerin. Sichtbarster Umsatzbringer sind die Streams. Chubas Abrufzahlen von rund 150 Millionen bei Spotify und geschätzt bis zu weiteren 200 Millionen auf anderen Portalen wie Amazon, Deezer oder Apple wirken zwar gewaltig. Doch wegen der geringen Beiträge pro Stream flossen bislang wohl nur rund 300.000 Euro in Richtung der Künstlerin. Und die muss sie noch teilen mit anderen Rechteinhabern, etwa Gastsängern wie Rapperin Juju oder ihrer Managementfirma MAG aus München.
Das ist keine Ausnahme. Ein etablierter Rapper wie ihr Kollege Summer Cem mag als Gastrapper im Song DNA von KC Rebell protzen, „dieses Spotify macht mich noch behindert reich“. Doch den dort genannten getunten Sportwagen zum Listenpreis von deutlich mehr als 100.000 Euro könnte auch er wohl nur mit den Einnahmen mehrerer Songs bezahlen.
Sehr viel hängen bleibt derzeit auch im Livegeschäft nicht mehr. Bei eigenen Konzerten, rechnet Chuba in einem Post vor, gab es immerhin rund 350 Besucher, die jeweils 25 Euro pro Ticket zahlten. Doch das bringt keine 9000 Euro Tageskasse. Und davon bleiben nach Abzug der Mehrwertsteuer, Vorverkaufsgebühr, Miete für Halle und Geräte sowie den Personalkosten erfahrungsgemäß weniger als 1000 Euro übrig. Und wohl damit es kein Zuschussgeschäft wird, verzichtet Chuba bei ihren Shows außer einem Schlagzeuger auf Begleitmusiker und spielt die Musik aus der Konserve ein. Zu den Shows reist sie laut ihrer Posts Low Budget mit Begleitung im Van. „Ernsthaft Geld machst Du erst, wenn Du ein Dutzend Hallen mit ein paar Tausend Plätzen zu 40 bis 60 Euro ausverkaufst“, so ein etablierter Musiker, „aber auch nur, wenn Du auf bombastische Technik und einen Riesenstab verzichtest.“
Um bis dahin über die Runden zu kommen, setzen die Künstler notgedrungen auf andere Einnahmen. Ein wichtiger Geldbringer sind Fanartikel wie T-Shirts und besonders in Deutschland CDs sowie in jüngere Zeit auch Vinyl-Schallplatten. So verkaufte Chuba von ihrem erst Ende Februar erscheinenden Debutalbum „Glas“ bereits vorab mehrere Tausend Exemplare für 34,99 Euro bei der bunte Vinylausgabe, das Bündel CD/T-Shirt für 47,99 Euro ist in der kleineren Größe auf ihrem Webshop ausverkauft und die 70 Euro für Premiumboxen mit Hoodie und Weinglas zahlten vorab bereits ein paar hundert Fans. „Davon bleibt erfahrungsgemäß bis zur Hälfte als Überschuss“, so Analystin Cirisano.
Dazu kommt Reklame oder auch nur mehr oder weniger dezente Erwähnung von Markenartikeln. Zwar wirbt Chuba nicht für den in ihrem Hit verballhornten Limo-Weißwein-Mix „Lillet Wildberry“, weil Hersteller Pernod Ricard alkoholische Getränke nicht mit Darsteller unter 25 Jahren anpreisen will. Doch die Brauerei Krombacher dufte die 24-jährige mit Kollegin Juju für die eigene Marke nutzen.
Die Verteilung der einzelnenn Einkommensarten ist jedoch zwischen den einzelnen Künstlern nicht nur sehr unterschiedlich. Laut einer Studie von Midia Research verdienen Musiker mit weniger als 1000 Dollar Umsatz pro Jahr ein Drittel mit Streaming. Solche mit 50.000 bis 100.000 Dollar Einnahmen dagegen nur sechs Prozent. Auch der Mix ändert sich von Jahr zu Jahr, je nachdem wie viele Songs ein Künstler veröffentlichen und ob es Konzerte oder Werbeverträge gibt. Das liegt weniger dran, dass Geringverdienern die Musik wichtiger ist. Vielmehr können Besserverdiener die Einkommen abseits der Kunst Spezialisten überlassen. „Und die holen mehr Geld raus als es der Künstler allein schaffen würde“, so Cirisano.“(R. Kiani-Kress)
Fotoquelle: www.ninachuba.com / © Sony Music Entertainment Germany GmbH