So viel bekommen Musiker von den Streaming-Einnahmen

Die Gewinne der großen Musiklabels steigen seit einigen Jahren wieder – vor allem dank zunehmender Einnahmen durch Streaming. Doch wie gerecht werden die Gelder zwischen Plattenfirmen, Streamern und Künstlern verteilt? Die Musikindustrie liefert überraschende Zahlen.

Viele Jahre steckte die Musikindustrie in einem Tal. Die Digitalisierung mit all ihren Folgen halbierte die Einnahmen der Musiklabels nahezu, der Tiefpunkt war 2018 erreicht. Seither klettern die Einnahmen wieder – wegen der steigenden Umsätze mit Musikstreaming. Im vergangenen Jahr verzeichnete die deutsche Musikindustrie erneut ein Umsatzplus von 6,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der digitale Musikverkauf über Streaming und Downloads stieg um 7,9 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro, der Verkauf physischer Tonträger blieb mit 409 Millionen Euro stabil.

Das Tal scheint also durchquert, gemessen an den nominalen Preisen liegt die Musikindustrie damit über den Zahlen der späten 1990er Jahre, als der wirtschaftliche Höhepunkt erreicht war. Inflationsbereinigt allerdings, auch das ist wichtig, reichen die Einnahmen noch nicht an die historischen Werte der Ära vor der Digitalisierung und dem Siegeszug des Streaming heran.

Angesichts der steigenden Umsätze mit Streaming (siehe Grafik) stellt sich allerdings die Frage, was davon bei den Künstlern ankommt, die von den Musiklabels vertreten werden. Gerade liefern sich beispielsweise Universal Music und TikTok einen Kampf um die Lizenzierungsrechte an Künstlervideos – Universal, das größte Musiklabel der Welt, hat die Nutzung der Musik seiner Künstler untersagt, weil man sich nicht auf einen neuen Lizenzdeal einigen konnte. Im Interesse der Künstler, wie Universal sagt, weil die Bezahlung nicht stimme? TikTok behauptet dagegen, Universal schade ihnen, weil sie so weniger Aufmerksamkeit bekommen und folglich weniger Geld verdienen. Beide Seiten haben ihr Narrativ, doch wo liegt die Wahrheit?

Entwicklung der Umsätze der Musikindustrie.
Quelle: Infografik WELT


Eine neue vom Bundesverband der Musikindustrie (BVMI) in Auftrag gegebene Studie will nun belegen, dass die Musiklabels mehr Geld in ihre Künstler stecken als früher. Auch um der Legende entgegenzuwirken, dass die Streaming-Einnahmen vor allem auf den Konten der Labels landen. Laut der Studie der Beratungsfirma Oxford Economics sind die Einnahmen der Musikindustrie in den Jahren zwischen 2010 und 2022 um 17 Prozent gestiegen.

Die Zahlungen der Labels an ihre Künstler sind im selben Zeitraum laut den Ergebnissen aber um 132 Prozent gestiegen, mit einem kontinuierlichen Aufwärtstrend seit 2013. Was umgerechnet bedeuten würde, dass heute rund 43 Prozent der Einnahmen direkt an Künstler weitergegeben werden – während es noch 2010 rund 21 Prozent waren.

Weil es durch die Digitalisierung so viel einfacher geworden ist, Musik auch in Eigenregie zu veröffentlichen, stellt sich immer wieder die Frage, wozu es Musiklabels braucht (dasselbe gilt für Verlage, Künstleragenten, etc.). Im Prinzip ist das natürlich bekannt und bewährt – es geht um die Entwicklung von Talenten (A&R – Artists & Repertoire) und um Vermarktung und Promotion (M&P).
Die Ergebnisse der Studie sollen nun zeigen, dass trotz oder gerade wegen der potenziell größeren Freiheiten für Künstler nicht weniger, sondern mehr Geld von den Labels investiert wird. So lagen die Gesamtinvestitionen der deutschen Musikindustrie im Jahr 2022 bei 342 Millionen Euro (die Zahlen sind Hochrechnungen auf Basis von Daten, die rund 70 Prozent des Marktanteils in Deutschland abdecken. Zu den großen Firmen gehören weltweit wie in Deutschland Universal, Sony und Warner).
Die Annahme ist nun, dass mehr Einnahmen seit 2018 auch mehr Investitionen nach sich gezogen haben. Deutlich gestiegen sind die Investitionen in A&R. Seit 2010, heißt es in der Studie, seien die Investitionen hier jährlich um etwa 7,3 Prozent gestiegen. Was vor allem auf den Anstieg der Vorschüsse um mehr als 270 Prozent zurückzuführen sei. Ob es sich um sehr hohe Vorschüsse für einige wenige Künstler handelt, oder um eine breite Streuung von Vorschüssen auch für neue Talente, lässt sich aus den Zahlen nicht herauslesen.

Weil die Spreizung der Geschmäcker aber eher zugenommen hat, dürfte es heute eher mehr Künstler als früher geben, die mit den Labels Verträge haben. Die Autoren der Studie vergleichen die Investitionen in A&R mit Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) in anderen Industriebranchen wie Pharma und Elektro – hier stehe die Musikbranche mit einem Anteil von 13,2 Prozent überdurchschnittlich gut da.

Aufgrund der Zunahme der (digitalen) Vertriebswege hat sich auch die Vermarktung der Künstler verändert. Die Ausgaben auf diesem Feld haben nicht zugenommen, sondern sie haben sich verlagert. Tendenziell weg von externer Promotion wie etwa Fernsehwerbung, hin zu Datenanalyse und Online-Marketing, was mit vermehrten Ausgaben für Personal verbunden ist.
Florian Drücke, der Vorstandsvorsitzende des BVMI, will mit dem Zahlenwerk einen Beitrag in der Debatte um Verteilungsgerechtigkeit liefern, diese müsse versachlicht werden. Insgesamt ein Drittel der Einnahmen steckten die Firmen in die Entwicklung und Vermarktung neuer Talente und neuer Musik.
Und Frank Briegmann, CEO von Universal Music Central Europe, spricht von einem „gesunden und wachsenden Ökosystem“. Um dieses balancierte System zu schaffen, bedarf es auch der Auseinandersetzung mit den digitalen Plattformen, wie eben mit TikTok, Spotify oder Apple Music (über das gerade eine drakonische Strafe verhängt wurde – auch unter den Plattformen gibt es große Konflikte). Die nun vorgelegte Studie ist vor diesem Hintergrund zu sehen – der Konflikt um eine gerechte Verteilung der Erlöse für kreative Werke wird sich fortsetzen, auch mit dem zunehmenden Einsatz künstlicher Intelligenz.


Text: Christian Meier | Foto: © StockPhotoPro / Adobe Stock

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