Die Musikindustrie pflegt eine Hassliebe zur Video-Plattform TikTok. Plattenfirmen üben immer mehr Druck auf Stars aus, die dort für sich und ihre Musik werben sollen.
Die Kurzvideo-Plattform TikTok zieht viel Liebe und viel Hass auf sich. Kontroversen gibt es unter anderem um die mutmaßlichen Verbindungen zur chinesischen Regierung und somit Datenschutz und Privatsphäre der Nutzer. Auch der Algorithmus der Plattform ist umstritten. Kritiker*innen werfen der Plattform vor, Nutzer*innen bewusst in eine Art Suchtspirale ziehen zu wollen. Am Ende entscheidet aber jeder selbst, was er aus der Plattform für sich macht. Auch die Musikindustrie pflegt eine Art Hassliebe zu TikTok.
So berichten die Kollegen von OMR ausgiebig über Fake Virals, bezahlte Produktplatzierungen und auch gestresste Stars, die von ihren Plattenfirmen dazu gedrängt werden, sich und ihre Musik bei TikTok zu vermarkten. Vielleicht belächelt genau wegen solcher Fakes und den eher jugendlichen Nutzer*innen manche Leser*in die Plattform. Doch für die Musikindustrie ist TikTok als Vermarktungsplattform mittlerweile nahezu genauso wichtig geworden wie beispielsweise Apple Music oder auch Spotify. Längst bieten Labels daher Influencer*innen Geld an, um die Songs ihrer Künstler*innen zu bewerben.
Es wird aber auch bewusst manipuliert, wie z. B. das Beispiel Taylor Gayle Rutherfords zeigt, deren virale Videos mutmaßlich mit der Hilfe einer Plattenfirma und professioneller Marketing-Mitarbeiter*innen fingiert worden sind. Die Geschichte der zunächst unscheinbaren Nutzerin, die später mit ihrem viralen Hit „ABCDEFU“ die Charts toppte, war voraussichtlich eine gezielte Inszenierung. Die Geschichte „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ kommt eben auch bei TikTok gut an.
TikTok entwickelt sich zur Hitmaschine
„ABCDEFU“ ist aber nur ein Beispiel dafür, dass TikTok Stars hervorbringen kann, die auch außerhalb des Netzwerks erfolgreich sind. Und das geschieht eben nicht immer auf „natürliche“ Weise, sondern teilweise mit direkter Nachhilfe der Plattenfirmen und professioneller Marketing-Agenturen. Marktforscher*innen nehmen an, dass mittlerweile ein Viertel der Künstler*innen, die es in die Top-200-Playlisten bei Spotify schaffen, durch TikTok groß geworden sind. Viele Musiker*innen erhalten erst durch ihre Beliebtheit bei TikTok Plattenverträge.
Für die Musikindustrie bleibt TikTok dennoch Fluch und Segen: Denn auch wenn die Labels ihre Stars bei TikTok bewusst pushen, so steigert sich die Unabhängigkeit der Künstler*innen von großen Plattenfirmen durch derartige Netzwerke. Du benötigst eben nicht mehr zwangsweise einen riesigen Vertrieb, um Fans zu erreichen. Wer Talent, Ausdauer und viel Glück mitbringt, kann auch im Alleingang seine Zielgruppe finden. Die Plattenfirmen überwachen TikTok täglich mit ihren Analyse-Tools. So kommt es auch hin und wieder vor, dass ältere Lieder durch Audio-Memes erneut an Beliebtheit gewinnen, was man dann für sich ausschlachtet.
Konsequenterweise lassen die Plattenformen auch Geld an Creator*innen fließen, damit jene die Songs der bei ihnen unter Vertrag stehenden Künstler*innen in Videos einsetzen. Setzen bekannte Influencer*innen auf die Musik, kann das einen Trend auslösen. Oder man streut ein Lied über viele Kanäle. Oft spannt man auch die Musiker*innen selbst ein, die auf ihren TikTok-Kanälen Eigenwerbung machen sollen – mit Fake-Videos, die man viral forcieren will. Das sorgte bei einigen Musiker*innen wie Florence & The Machine, Ed Sheeran oder auch Halsey bereits für Unmut.
Kein viraler Erfolg = keine Veröffentlichung?
Einige Musiker*innen behaupten sogar, dass sich ihre Plattenformen geweigert hätten, neue Lieder zu veröffentlichen, bevor die Künstler*innen es nicht geschafft hätten, bei TikTok die Werbetrommel ausreichend zu rühren. Mittlerweile sind aber auch die Fans dahinter gekommen, dass es bei TikTok mehr Schein als Sein gibt. Viele hinterfragen die Maschen der Labels und Stars mittlerweile kritisch. Und für junge Musiker*innen wird es immer schwieriger, sich im enormen Dickicht des Angebots noch durchzusetzen.
Zumal TikTok, wie eingangs erwähnt, durchaus kritisch zu betrachten ist. Das ist auch der Videoplattform selbst bewusst. Etwa führte man deswegen kürzlich neue Tools für seine Nutzer*innen ein, mit welchen sie ihre eigene Bildschirmzeit im sozialen Netzwerk besser überwachen können. So kann der Sog der Kurzvideo-Plattform einen einerseits zum endlosen Konsum eines Clips nach dem anderen ziehen. Andererseits erhofft sich gerade mancher Jugendliche vielleicht den schnellen Ruhm und steckt seine gesamte Freizeit in Inhalte, nur um am Ende desillusioniert zu werden.
Text: https://hifi.de/news/tiktok-fluch-und-segen-fuer-die-musikindustrie-und-ihre-stars-101009
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